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Der Schatten


Isabelle nahm die Leuchtpistole aus ihrem Rucksack. Sie wollte nicht gleich die großen Geschütze ausfahren, aber es würde reichen, um es notfalls zu vertreiben. Das Wesen trottelte schwankend auf sie zu, bis es nur noch zwei Schritte von ihr entfernt stehen blieb.
„Hallo!“

Isabelle zuckte zusammen.
„Was...“, sagte sie verblüfft.
„Hallo! Ich bin ich und wer bist du?“
„Du verstehst mich?“
„Natürlich! Warum nicht?“
Isabelle schaute einmal um sich, konnte aber niemanden anderen erkennen.
„Ich bin Isabelle, ein Mensch.“
„Bist du Isabelle oder ein Mensch? Du musst dich schon entscheiden.“
„Na, ich bin ein Mensch und heiße Isabelle. Hast du keinen Namen?“ Diese Diskussion nahm immer groteskere Ausmaße an.
„Doch, aber einer reicht doch. Ich bin Ich.“
„Soll ich dich so nennen? Ich?“
„Wie du willst!“
„Woher kommst du, Ich?“
„Warum redest du so merkwürdig?“
„Das könnte ich dich auch fragen. Woher kannst du meine Sprache? Du scheinst intelligent zu sein, aber ich komme von einer anderen Welt. Wie kann das gehen?“
„Warum sollte ich nicht mit dir reden können? Ich verstehe deine Verwunderung nicht. Du redest doch auch mit mir.“
„Okay, okay. Moment mal,… lass mir ein bisschen Zeit mit diesem Traum klar zu kommen. Bist du so nett?“
„Warum nicht. Aber was ist ein Traum?“
Isabelle setzte sich hin und schloss die Augen. Sie hatte mittlerweile schon viele merkwürdige Wesen kennen gelernt, aber jetzt kam sie doch ins Schleudern. Als sie nach ein paar Minuten die Augen öffnete war sie wieder allein. Sie hatte sich zwar bei der Landung den Kopf gestoßen aber, dass es sich so auswirken könnte hätte sie nie im Leben gedacht. Die Sonne ging unter und sie machte ihre Schlafstelle fertig. Richtig Hunger hatte sie nicht. Sie würde zum Frühstück etwas zu sich nehmen. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte legte, sie sich in den Schlafsack. Als die Sonne wieder aufging, wusste sie erst nicht ob sie wirklich geschlafen hatte. Sie konnte sich zwar nicht erinnern eingeschlafen zu sein, aber auch nicht wach geblieben zu sein.
„Guten Morgen!“
„Nicht schon wieder!“, dachte sie.
Sie drehte sich um, und erblickte Ich vor sich.
„Hast du genug Zeit gehabt? Also, was ist ein Traum?“
„Na gut, also guten Morgen auch dir. Hast du schon gefrühstückt?“
„Jawohl. Was ist ein Traum?“
„Können wir das mit dem Traum später bereden? Vielleicht sind andere Dinge für mich wichtiger?“
„Wie du meinst. Was ist für dich wichtiger?“
„Ich suche einen Freund.“
„Bin ich nicht einer?“
„Hallo! Seit wann kennen wir uns?“
„Seit gestern. Das weißt du doch, oder hast du es vergessen?“
„Bestimmt nicht. Warum sollten wir Freunde sein?“
„Du redest nett mit mir und ich auch mit dir. Du hättest auch mein Leben beenden können.“
„Das kann ich noch immer!“, erwiderte Isabelle.
„Aber du wirst es nicht tun, oder?“
„Das kommt darauf an. Jedenfalls suche ich einen bestimmten Freund, der mit mir unterwegs war. Unser Schiff ist abgestürzt und wir sind getrennt worden.“
„Ein Schiff? Was ist das?“
„Das ist etwas was einen von einem Ort zum anderen bringen kann ohne, dass man sich selbst bewegt. Aber das ist vielleicht zu hoch für dich.“
„Ich verstehe. In der Stadt hab ich sowas schon mal gesehen. Dein Freund: ist der wie du?“
„Ja wir sind von derselben Rasse. Aber was redest du da von einer Stadt?“
„Früher gab es mehr von mir. Und es gab viele Städte.“
„Was ist passiert. Wo sind sie hin?“
„Weiß nicht. Ich hab nie einen gesehen.“
„Aber, woher weißt du das alles?“
„ Ich hab die Bilder in der Stadt gesehen.“
„Nun, du scheinst eine nette Begleitung zu sein. Vielleicht möchtest du mit mir kommen. Du kennst dich hier aus, ich nicht.“
„Ja! Das kann ich tun.“
Isabelle packte ihre Sachen ein und beide gingen nebeneinander her.
Sie liefen schon zwei Stunden und die Sonne war schon hoch über ihnen. Isabelle hatte sich die ganze Zeit über mit ICH unterhalten. Manchmal hatte sie den Eindruck mit einem Kind zu reden und im nächsten Moment sah sie ein altes weises Wesen vor sich. Manchmal schien Ich alles zu wissen und dann stellte er Fragen über die einfachsten Dinge, die er nicht verstand. Er kannte keine größeren Tiere und ernährte sich nur vom Farn der überall wuchs. Sein Alter kannte er nicht und konnte sich nicht mal erinnern, wie er die ersten Jahre seines Lebens verbracht hatte. Zeit war für ihn ohne Bedeutung. Auch wohin er ging war für ihn nicht wichtig. Alles was es gab kannte er. Wo sich allerdings die Städte befanden konnte er nicht sagen. Es schien für ihn nicht von Belang zu sein. Am Abend kamen sie an eine Stelle, die Isabelle beim Anblick fast verzweifeln ließ. Die Ebene brach schlagartig ab. Vor ihnen zog sich ein Canyon von rechts nach links kilometerweit dahin. Es war unmöglich für Isabelle da hinunter zu steigen, ohne abzustürzen, denn es war alles sehr zerklüftet. Erstaunlicherweise wuchs auch da der Farn. Nur die Steilwände waren frei davon.
„Was machen wir jetzt?“
Sie setzte sich auf ihren Rucksack und fühlte sich auf einmal sehr müde.
„Nun, wir könnten anders herum laufen, dann kommen wir auch auf die andere Seite.“, sagte ICH.
„Wie meinst du das? Etwa um die ganze Welt herum?“
„Natürlich! Wie denn sonst?“
„Kommt nicht in Frage. Es muss noch eine andere Möglichkeit geben. Irgendwo muss es doch flacher werden, oder der Canyon zu Ende sein!“, sagte Isabelle, sichtlich aufgeregt.
„Warum die Eile? Es rennt uns nichts davon.“
„Du magst dich zwar von den Farnen ernähren können, aber ich weiß nicht ob es mir auch bekommt. Meine Rationen halten nur kurze Zeit und bis dahin muss ich Eddie gefunden haben.“
„Warum solltest du den Farn nicht essen? Alle essen ihn hier. Ohne ihn würden wir alle sterben... Na ja, ohne uns er auch.“
„Wie meinst du das? Gibt es nichts anderes zu essen? Und warum sollte der Farn ohne euch auch absterben? Kannst du mir das erklären?“
„Nun! Bei mir weiß ich es nicht genau. Aber der Farn würde ohne uns absterben. Er könnte sich nicht verbreiten und neu wachsen. Wir sind es, die seine Sporen an unsere Körper mitnehmen und woanders ablegen. Irgendwann verwelkt alles und muss neu entstehen. Ist es bei euch nicht auch so?“
„Sicher. Aber... Gut, ich bin nie gut in Biologie gewesen. Das bedeutet aber, dass wenn dem Farn irgendwas passiert, sagen wir mal er bekommt eine Krankheit, dann stirb die ganze Welt aus?“
„Natürlich! Ist es bei euch nicht auch so?“
Isabelle schwieg einen Moment, denn sie wurde sich der Tragweite bewusst, dass genau ihr Hiersein dies alles auslösen könnte.